Die Thermen im Untergrunde Wiens
(mit besonderer Berücksichtigung der Döblinger Ströme)
Auf Grund einer Aufnahme mit der Wünschelrute
Die nachfolgenden Ausführungen sind nur ein kleiner Ausschnitt aus den fast abgeschlossenen Studien über die Herkunft und den Verlauf der Thermen Niederösterreichs und vielleicht eben jetzt von einigem Interesse, wo die demnächst stattfindende Ausstellung „Wien und die Wiener" in einer speziellen Abteilung auch weitere Kreise mit der Eigenart des Wiener Bodens bekannt machen soll. — Wie schon der Titel besagt, stützt sich die zur Besprechung gelangende Aufnahme lediglich nur auf die gefühlsmäßige Deutung der im Untergrunde Wiens vorkommenden Thermen mit der Wünschelrute und scheint es darum angezeigt, für den mit dieser Materie nicht vertrauten Leser des besseren Verständnisses wegen eine kurze Schilderung des Arbeitsvorganges vorauszuschicken. Dem Rutengänger, welcher sich dem Studium der Thermenfeststelluing widmet, bieten diese ganz charakteristische B e s t i m m u n g s s t ü c k e, wie den spezifischen Rutenausschlag, welcher bei Thermen des gleichen chemischen Hauptcharakters immer der gleiche bleibt, die Temperatur und den Auftrieb. Hiezu kommen noch, wie bei allen anderen unterirdisch fließenden Wässern, die Stromrichtung, dann die bei Thermen gewöhnlich größere Tiefe und die Auflösung der Gesamtbreite ihres unterirdischen Gerinnes in eine Anzahl von Streifen (Wirkungszonen). Unter diesen Bestimmungsstücken bestehen gewisse Wechselbeziehungen, indem nämlich jene näher zu ihrem Ursprünge, das ist zu den ihren Aufstieg aus dem Erdinnern vermittelnden Gebirgsspalten hin, Temperatur, Tiefe und Auftrieb zunehmen, während in umgekehrter Richtung — also nach stromabwärts — diese Faktoren abnehmen und der spezifische Rutenausschlag schließlich an jener Stelle, an welcher die Therme ins Grundwasser aufsteigt und daher ihren chemischen Hauptcharakter verliert, immer mehr auf jenen Ausschlag reduziert wird, welcher dem gewöhnlichen fließenden Qrundwasser zukommt. Diese Bestimmungsstücke und ihre Wechselbeziehungen
untereinander ermöglichen es dem geschulten Rutengänger, nicht allein die Thermen als solche zu erkennen und annähernd ihren chemischen Hauptcharakter zu bestimmen, sondern auch zu beurteilen, ob viele Kilometer weit auseinander liegende und in großen Zeitintervallen hintereinander festgestellte Teilstücke von Thermen miteinander identisch sind oder nicht, vorausgesetzt, daß die an der erstmaligen Fundstelle empfangenen Bestimmungsstücke behufs späteren Vergleiches eben aufgezeichnet wurden. Auf der letzteren Möglichkeit basiert nun der Arbeitsvorgang im Gelände. Es wird nämlich im Hinblick auf Zeit, Witterung und andere Umstände nur selten möglich sein, einen irgendwo erstmalig konstatierten Thermenstrang in e i n e m Zuge in seiner ganzen, gewöhnlich mehr als hundert Kilometer sich erstreckenden Lauflänge festzustellen, zumal dann nicht, wenn, wie häufig, einige Spaltarme von oft gleichfalls großer Länge von ihm abspalten; vielmehr wird sich die Notwendigkeit mehrerer, oft in großen Zeitintervallen folgender A r b e i t sp e r i o d e n ergeben, in welchen die von verschiedenen Ausgangspunkten aus festgelegten Teilstücke der Lauflänge durch B e g e h u n g e n miteinander verbunden werden. Es ist klar, daß in diesem Arbeitsvorgange allein schon ein Beweis für die Richtigkeit der Aufnahme selbst liegt, denn wenn der Rutengänger, vom Ende eines solchen Teilstückes ausgehend, zu dem viele Kilometer entfernten und vor Jahr und Tag festgelegten Ende eines anderen Teilstückes lediglich nur durch unterirdische Einflüsse geführt wird, obwohl Berg und Tal zwischen Ausgang und Ziel liegen und oft jede Orientierung mangelt, so kann von einem Zufall gewiß nicht gesprochen werden. Und dies um so weniger, als ja die Nachprüfung durch einen anderen auf diesem Gebiete der Thermen versierten Rutengänger jederzeit möglich ist. Ein weiterer Beweis liegt schließlich darin, wenn der Rutengänger bei solchen Begehungen zu natürlichen Aufstößen oder künstlichen Aufschlüssen des gleichen Thermalwassers gelangt oder — noch besser und häufiger — erst nachträglich von solchen über seiner Aufnahme gelegenen Lokalitäten Kenntnis erlangt. Es ist begreiflich, daß derlei Begehungen in verbauten Stadtteilen mit ihren zahllosen Störungen, wie Starkstrom- und Wasserleitungen, Kanälen und vor allem mit ihrem starken Verkehre weit schwieriger und zeitraubender sind, als im freien Gelände. Und wenn auch der Rutengänger schließlich dahin
gelangt, die unterirdischen; Störungen nur als dumpf mitschwingend zu empfinden, ohne von seiner eigentlichen Arbeit abgehalten zu werden — wie eben auch der Celloliebhaber aus dem großen Orchester nur sein Lieblingsinstrument heraushören wird — so bildet doch der Großstadtverkehr ein derartiges Erschwernis, daß er gerne die ruhigeren Nachtstunden für seine Untersuchungen wählen wird, wie dies auch für die vorliegende Aufnahme durchwegs geschehen ist. Es bleiben auch da noch genug Hemmungen, wie die erschwerte Orientierung nach der Straßentafeln und der Karte, wie nicht minder — durch Passanten und Sicherheitsorgane, die dem sich orientierenden nächtlichen Wanderer je 'nach ihrer Einstellung und ohne auch nur seine Tätigkeit zu ahnen, teils behilflich sein wollen, teils ihn argwöhnisch verfolgen. Der Aufnahme im Gelände wurde eine Karte im Maßstabe 1: 15.000 für das Stadtgebiet zugrunde gelegt und kann daher die Darstellung auf eine ziemliche kartographische Richtigkeit Anspruch erheben. Für diese Veröffentlichung wurde die Einzeichnung auf eine Graudruckkarte im Maßstabe 1: 25.000 der Verlagsanstalt Artaria übertragen und mit deren Erlaubnis photographisch auf 1: 50.000 verkleinert, während in der eingangs erwähnten Wiener Ausstellung eine Karte in Farben im Maßstabe 1:10.000 zu sehen sein wird. Wie die beigefügte Karte erkennen läßt, verlaufen im Untergrunde Wiens vier verschiedene Thermen, und zwar eine Schwefel-, eine indifferente, eine Soda- und eine Jodtherme. Sie sind nach ihrer Lage und ihrem chemischen Hauptcharakter, wie gleich vorweg betont werden soll, dadurch bewiesen, daß dem Verfasser bisher insgesamt 29 Lokalitäten im Wiener Stadtgebiete bekannt wurden, an denen das betreffende Thermalwasser teils durch natürliche Aufstöße oder durch künstliche Aufschlüsse festgestellt ist und welche Stellen sämtlich auf seinen bereits lange vorher aufgenommenen Thermenläufen liegen. Die Schwefeltherme.
Sie ist die Fortsetzung der B a d n e r T h e r m e, die beim Helzendorfer Schlosse noch mit einer Temperatur von + 21° C in annähernd 250 m Tiefe und mit einer Wasserführung von
fast 300 Sekundenliter in das Stadtgebiet von Wien tritt. In ihrem weiteren Verlaufe führt die Therme zum Meidlinger Bahnhofe und erreicht im Wientale die Gürtelstraße, der sie nun in fast genau süd-nördlicher Richtung bis zur früheren Stadtbahnstation Michelbeuern in Währing folgt.
Von hier ab begleitet sie den die Gürtelstraße parallel verlängernden, fast geradlinigen Straßenzug Kutschkergasse — Gymnasium — Billrothstraße und wendet dann im scharfen Bogen nach Osten gegen den Bahnhof Heiligenstadt, um gleich wieder in der Nordrichtung der Donaufurche zuzustreben. Ein zwischen dem Hunger- und dem Nußberge eingeschobener schmaler Abhangsrücken — man beachte die starke Einschnürung der Therme in dieser Laufstrecke — scheint nun dem Strange den Weg dahin zu versperren und sie zu einer weit nach Westen ausholenden Schleifenbildung unter der Grinzingerstraße zu zwingen, bis sie schließlich eine Spalte durch den Hungerberg findet und nahe der Nußdorfer Ueberfuhr die Donau in rund 200 m Tiefe unterquert. Am linken Donauufer nimmt nun die Therme ihren, mit einem gleichzeitigen Aufstieg in geringere Tiefen verbundenen Lauf über Jedlesee— Groß-Jedlersdorf und verläßt östlich von Strebersdorf nach einem 20.50 Kilometer langen Laufe mit nur mehr + 18° C Temperatur und in rund 100 m Tiefe das Stadtgebiet von Wien.
Wenn wir den Hauptstrang der Therme in der behandelten Laufstrecke näher betrachten, so finden wir eine Anzahl VOM Umläufen, -die jedenfalls parallelen Längsklüften ihr Entstehen verdanken, so die Umläufe h, h1; h2, h4, p und f am linken und r. s. o und v am rechten Ufer der Therme. Ihre Gesamtlänge beträgt 15 Kilometer. Außer diesen Umläufen entsendet die Therme noch eine Anzahl von Spalt armen ins Gelände, die sämtlich noch vor Erreichung der Donaufurche ins Grundwasser aufsteigen.
Die natürlichen Aufstöße oder künstlichen Aufschlüsse thermalen Schwefelwassers betreffen u.a. • Am Hauptstrange des 232 m tiefen Brunnen im alten Döblinger Brauhause in der Hardtgasse; Am Spaltarm g2 das nachweislich noch 1821 auf der
„Osterleiten“ in Oberdöbling – jetzt Döblinger Hauptstraße Ecke Osterleitengasse – bestandene Schwefelbad, in dem auch Beethoven von seinem Gehörleiden Heilung suchte (Aus „Döbling", Eine Heimatkunde des XIX. Bezirkes, im Selbstverlage der Arbeitsgemeinschaft Heimatkunde von Döbling) • am Hauptstrange der bestandene Heiligenstädter Ziegelteich, aus dem sich 1923 durch Monate bis zu seiner Verschüttung enorme Mengen von Schwefelwasserstoff entwickelten, die im weiten Umkreis die Luft verpesteten. Der hierüber entstandene Streit fand zwei Parteien, welche einerseits die Ursache in einem natürlichen Aufstoße der Schweifeltherme, anderseits in den zur Zuschüttung verwendeten Abfallstoffen gefunden haben wollten. Das fachmännische Gutachten entschied sich für die letztere Annahme, wenngleich die im Teiche beobachteten Aufstöße von artesischem Wasser zugegeben wurden. Wenn wir jedoch bedenken, daß nur 500 m weiter westlich auf demselben Haupt-Strange die gleich zu behandelnden A u f s t ö ß e im alten Kuglerpark und im Hause Probusgasse 9/11 situiert sind, weiters, daß diese drei Lokalitäten sämtlich auf oder nächst einer Schleife liegen, die dem sonst geraden Thermenlauf durch ein Hindernis aufgezwungen, und wodurch eben die Bildung natürlicher Aufstöße begünstigt wurde, so erscheint die Vermutung gewiß nicht zu kühn, daß wir es auch beim Heiligenstädter Ziegelteich mit einem regelrechten Aufstoß eines allerdings schon durch Wildwässer abgekühlten thermalen Schwefelwassers zu tun hatten; • am Hauptstrange den soeben erwähnten Brunnen im Hause Probusgasse 9/11, der in neuester Zeit infolge eines Aufstoßes von thermalem Schwefelwasser zugeschüttet werden mußte. (Bericht seines Besitzers, Bezirksrat Musil, in der „Reichspost" Nr. 199 vom 22. Juni 1922); • diesem etwa auf 200 m südlich benachbart das gleichfalls eben erwähnte, bis zum Jahre 1811 im Kuglerpark (jetzt Heiligenstädterpark) bestandene Schwefelbad; • am Spaltarm k den 276 m tiefen Brunnen der Villa Esders am Ettinghausenplatz in Sievering und • einige Brunnen am gleichen Spaltarm in Kahlenbergerdorf.
Von Oberst d. R. Ing. Carl Beichl, Sonderabdruck aus: Allgemeine österreichische Chemiker- und Techniker-Zeitung“ Nr.9, 1927 - Auszüge