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Billroth/Hirschengasse
 
   
 
 
 

Als Döbling eine Hirschengasse hatte…


Wie es einst auf der Billrothstraße aussah           

Hier begann noch vor 60 Jahren eine Welt für sich. Drüben lag rechter Hand die weite Gstätten des Pantzerfeldes, auf dem im Oktober 1848 die k. k. Artillerie aufgefahren war und 24 Stunden lang auf die Nußdorferlinie und in das Liechtental geschossen hatte, bis der polnische General Bem, der von dem Balkon des heute noch stehenden Eckhauses Viriotgasse – Nußdorfer Straße das Bombardement beobachtete, schließlich aufstand und, begleitet von den wie preußische Gardedragoner aussehenden Nationalgardekavalleristen, weg ritt. Da haben denn dann auch die Mobilgarden die Gewehre an die Wand gelehnt und sich verflüchtigt. Das alles hat der steinerne heilige Erasmus von 1708 mit angesehen, der, von zwei Kastanienbäumen flankiert, neben der heutigen Schoelerschen Buchdruckerei an der Stelle des jetzigen Telefonautomaten stand, und auf dem folgende Inschrift zum Himmel weinte: „Allmächtiger Gott, der du den heiligen Bischof Erasmus uns durch Auswicklung seiner Gedärme von den Ketzern zur Marterkrone in den Himmel gerufen hast, verleihe gnädig, dass er durch seine Fürbitte von innerlichen Leibschmerzen uns erlöse, und dass wir nach diesem Leben auch zu des Himmels ewigen Freuden vorbereitet werden, Amen. Vater unser und Ave Maria.“

Der heilige Erasmus ist im 20. Jahrhundert weggekommen, vor der Döblinger Pfarrkirche aufgestellt worden, und damit schwand jede Erinnerung an den Beginn der Billrothstraße, wie ihn Ferdinand von Saar noch klagend besungen hat: „Heute gehörst du zur Stadt und hast dich danach auch verändert / Kaum zu erkennen bist du dem nahenden Blick / Wo ist die Reihe der Linden, die einst vom Linienwalle / Kühlend und duftend zugleich, mich dir entgegengeführt? / Wo zur Rechten das Feld, das ausgedehnte, umplankte, / Drin Cyanen und Mohn wallende Ähren geschmückt? / Ach, verschwunden der Reiz des ländlichen Anblicks! Es ragen / Nüchtern, einförmig und hoch neue Gebäude empor. / Baugrund wurde der Acker und das Geleise der Tramway / Fällte die säuselnde Pracht schattiger Wipfel schon längst...“

Die Billrothstraße – bis in die neunziger Jahre hat sie Hirschengasse geheißen, den neuen Namen bekam sie zur Erinnerung an den großen Chirurgen und sein Rudolfinerhaus an ihrem Ende – entstand um 1770 herum in einem von Weingärten bedeckten Gebiet, dessen Wein als zur besten Gattung „der österreichischen Gebirgsweine“ gehörend bezeichnet wurde. Sich vorzustellen, dass einst auf den Gefilden der Schegar-, der Hardtgasse, der Peter-Jordan-Straße köstlich die Döblinger Weintraube glänzte!

Die Hirschengasse muss eine liebreizende Gasse gewesen sein. Heute bietet sie ein zerrissenes Bild, in dem nur noch hie und da ein altes Haus zwischen Ungeheuern der Gründerzeit und der Jahrhundertwende steht. Fast nichts erinnert mehr an die liebliche Landgasse von einst, als der Lauf des Straßenzuges, von dem Gaheis in den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts schrieb: „Die Hirschengasse, die anfangs zwischen anmutigen Gärten und dann an der Seite der schönsten Häuser zum Gasthaus beim Hirschen hinführt … die wohl geebnete Straße, die zu beiden Seiten mit rot und weiß bemalten Pflöcken versehen ist. Dann kam ich zu den neu gebauten Häusern, zu den Küchengärten, wo sich links an der Straße ein großer, schon sehr verwitterter Markstein, auf beiden Seiten mit einem gewaltigen Kreuz bezeichnet, aufgestellt findet (soll zur Erinnerung an zwei Brüder gesetzt sein, die sich gegenseitig gemordet.“).

Gaheis, der ein munterer, neugieriger Bursche war, hat sich eines der neuen Häuser, die für die wohlhabenden Wiener als Sommerwohnung gebaut worden waren, angesehen: „… es ist ein Stockwerk hoch, hat herrliche Aussichten in die gewähltesten Gegenden. Das Gemäuer umschließt einen geräumigen Hof, fasst eine Reihe von acht bis zehn niedlich möblierten Zimmer in sich, hat Stallung auf mehrere Pferde und eine bequeme Wagenschupfe. Dabei ist ein schöner Garten, mit den seltensten Obstarten besetzt …“

Hören wir weiter, in welch lyrische Töne Gaheis im Verlauf seiner Döblinger Wanderung ausbricht. Döbling „dieser des schönsten Zeitalters der Monarchie würdige Luxus, wuchs, wie eine Blume auf sorgfältig gepflegtem Boden, aus den Spekulitonen der Industrie hervor. Diese Göttin vermählte sich selbst hier mit dem ländlichen Vergnügen. Der Küchengartenbau wird hier, selbst von weiblicher Hand, mit einer Sorgfalt betrieben, welche nichts zu wünschen übrig lässt. Man findet hier Damen und Mädchen, welche mit ebenso viel Einsicht über die Pflege der Pflanzen und Blumen, und zwar nach eigener Ansicht und Erfahrung sprechen, als sie mit Geschmack dem Forte-Piano himmlische Töne entlocken. Die Früchte Lyäens, von denen die nahen Weinberge in herbstlicher Völle glänzen, werden hier in hundert Kellern aufbewahrt, von denen sie, durch Gärung und Sorge gezeitigt, in die Becher der Wiener strömen oder auf freudiger Achse in die traubenleeren Gegenden Böhmens geführt werden (…) Der Schimmer der Sterne beleuchtete meine Bahn, der aufgehende Mond goss seinen Silberglanz über manche Dächer des Dorfes, indes andere in dichte Schatten gehüllt blieben. Vorzüglich herrschte von Heniksteins Landhaus, dem ich immer näher rückte, über die ganze nächtliche Gegend. Alles war still wie das Gemüt dessen, der die Welt kennt und seine Leidenschaften für ihre armseligen Wichtigkeiten zu bändigen gelernt hat. Nur das einsam hallende Bellen der Haushunde, hie und da ein Lichtchen durch die Stube, das Rauschen des Baches und ein helles Jauchzen aus dem Dorf unterbrach diese ländliche Stille. In einer Art heiligen Hochgefühls erreichte ich das Dorf. Nicht eine Seele begegnete mir. Während der silberne Mond mit einigen düsteren, doch glänzend veränderten Wolken, die ihn zu verhüllen drohten, zu kämpfen schien, ertönte wenige Schritte vor mir in den Schlag einer Nachtigall die hohle, feierliche Stimme des Nachtwächters: ‚Alle meine Herren und lasst euch sagen: der Hammer hat elf geschlagen.‘ Sie hatte etwas sehr Rührendes an sich (…)“

Henikstein war der reichste Mann und sozusagen der Pascha von Döbling. Er hat sich sein strahlend-klassizistisches Landhaus in der Gegend der heutigen Ecke Billrothstraße – Krottenbachstraße in einem enormen Park gebaut, den er aus einer wüsten Gstätten empor gezaubert hatte. Heute stehen allerhand Villen in dem einst großartigen Park, durch den die Obersteiner-, die Poestion- und die Ohmanngasse führen. Henikstein, der aus Polen stammte und ursprünglich Hönig hieß, zählt zu den bedeutendsten Großindustriellen und Geldmännern der Maria-Theresianischen und Josephinischen Zeit. Er schuf sich ein Vermögen mit dem damals neu zu Österreich gekommenen galizischen Salzwerk und dem Tabakmonopol. Beides hat er offenbar großzügig-genial zu behandeln gewusst. 1784 wurde er geadelt als „von Henikstein“, er hat „ärarisches Gut bei wiederholten Anlässen mit Gefahr seines Lebens gerettet“ und hat sein Haus, auch das in Döbling, zu einem gesellschaftlich-kulturellen Zentrum gemacht. Das Bankhaus, das später entstand, hat im Spätbiedermeier seiner Familie den Barontitel gebracht, und einer seiner Enkel ist in die österreichische Kriegsgeschichte eingegangen. Er hatte eine „noble“ Karriere ergriffen, nichts von Finanz, wurde Soldat, ist Feldmarschallleutnant geworden. Als Generalstabchef Benedeks ist er für die Katastrophe von Königgrätz mitverantwortlich.

Um 1830 herum wurde der Heniksteinsche Besitz an Dr. Bruno Görgen verkauft, der daraus die nobelste Privat-Irrenanstalt des alten Wien gemacht hat. Am 22. August 1850 ist hier Lenau als Opfer der progressiven Paralyse gestorben. Viele andere sind ihm gefolgt. Hier ist eine der tragischsten Stätten des geistigen Wien gewesen, denn die damalige Medizin war gegen die furchtbare Nachwirkung der syphilitischen Ansteckung machtlos, bis der unvergessliche Wagner-Jauregg vor mehr als 30 Jahren die Malariakur entdeckte. Viele Jahrzehnte hindurch hat man die Steinbank im Park gezeigt, auf der Lenau sich in den Tod geschwiegen hatte (...).

Das Stück Billrothstraße von der Pyrkergasse bis zur Silbergasse, der einstige Hirschenberg, war und ist der neuralgische Punkt der Straße, an dem seit über 150 Jahren herum gearbeitet und herum gebessert wurde, das Niveau unaufhörlich verändert worden ist. Hier allein hat sich eine kurze Front alter Biedermeierhäuser erhalten, die eine ungefähre Idee davon geben, wie die Hirschengasse einst ausgesehen haben mag. Vor dem Haus Nr. 72 hat Grillparzer als junger Mensch Beethoven eines Tages stehen und andächtig die hübsche Tochter Liesel des Bauern Flehberger betrachten sehen, wie sie Heu ablud. Beethoven wohnte einst auch in dem Eckhaus Billrothstraße – Pyrkergasse, das bis weit ins 20. Jahrhundert gestanden ist, und die Döblinger nannten ihn den „krauperten Musikanten“, wenn er, das weiße Schnupftuch lang aus dem Frackschoß heraushängend, Hut und Stock in der Hand, nachdenklich daher gestrichen kam. „Brauchst dich vor dem alten Herrn nöt zu fürchten. Der tut dir nichts. Er ist nur nöt recht beinand“, hat ein Schöngeist des Biedermeier 1822 eine Döblinger Mutter ihrem Kinde zuflüstern gehört. Was so ziemlich die Stimmung des Wiener „gemeinen“ Volkes dem Titanen gegenüber zum Ausdruck bringt.

In der Billrothstraße hat auch Grillparzers Großmutter, Maria Anna Sonnleithner, ihr Landhaus gehabt, das ebenso wie das Landhaus Heniksteins, nur in bescheidenerem Umfang, ein Mittelpunkt Alt-Wiener geistigen Lebens vor zirka 140 Jahren gewesen ist.

Dort, wo heute die Gymnasiumstraße in die Billrothstraße einmündet, stand einst das Etablissement Wendl. Unvergesslicher, gemütlicher alter Wendl! Wie zärtlich-einfach die klassizistischen Formen des Gebäudes. Der schlichte Architrav über der klaren Front. Und daneben lief durch die Gymnasiumstraße bis in die Gatterburggasse die Dampftramway, deren Kondukteure noch in den himmelblauen Eisenbahneruniformen gingen, als längst Pferde die Lokomotive im blechernen Überzieher ersetzt hatten. Hier hat noch Johann Strauß Vater gespielt, hier hat der Delikatessenhändler Eduard Sacher, der später das berühmte Hotel Sacher gründen sollte, eine großartige Vergnügungsstätte, die er pompös „Kasino“ nannte, geschaffen. Mit Restaurant, Meierei, Kegelbahn, Schaukeln und allen möglichen Lustbarkeiten. Die Komiker, Volkssänger und Kunstpfeifer überboten sich hier. Das Publikum strömte auf der Dampftramway vom Währinger Gürtel heran, als Anton Wendl das Kasino übernommen und daraus ein „Etablissement“ gemacht hatte. In der Gründerzeit. Er wollte ein Theater haben und baute eine große Sommerarena im herrlichen Garten mit den uralten Bäumen. „Thomas, der Massenmörder von Bremerhaven“ (ein Stück um den ersten Versicherungsmassenmörder der Kriminalgeschichte) wurde hier hunderte Male gegeben. Zum Schluss gab es noch immer eine besondere Draufgab‘, wie zum Beispiel „Grasls Gang zur Richtstätte bei bengalischer Beleuchtung“. Fürst, Girardi, Schildkraut, Max Reinhardt haben in ihren Anfängen bei Wendl gespielt!

 

Nichts mehr davon. Keiner, der in einem der Häuser wohnt, die auf dem Wendl (...) (Fortsetzung fehlt leider)

 

aus dem „Wiener Kurier am Sonntag“, 20. November 1954, S. 1 (Seite 2 fehlt).