Wer schützt das Cottage in Währing und Döbling?
Eine revolutionäre Wohnidee in der Vorstadt
Es begann im Jahr 1860. Wer es sich leisten konnte, wohnte damals in der Wiener Innenstadt, aber die Stadt war eng und die Mieten oft unerschwinglich hoch. Die Ära der Ringstraßenbauten hatte gerade begonnen, überall schossen prunkvolle Paläste aus dem Boden. Der Star-Architekt der späteren Ringstraßenbauten, Heinrich Ritter von Ferstel und der Kunsthistoriker Rudolf von Eitelberger veröffentlichten eine Schrift, wie das Wohnungsproblem in der engen Innenstadt gelöst werden könnte: sie propagierten den Bau von relativ preisgünstigen Ein- oder Zweifamilienhäusern in der Vorstadt, die ein gesundes Leben in frischer Luft, inmitten von grünen Gärten ermöglichen würden. Die Idee wurde positiv aufgenommen und so initiierte Ferstel im Jahr 1872 die Gründung des Wiener Cottage Vereins, der – ohne Gewinnabsicht – Gründe an den Abhängen der Türkenschanze aufkaufte, parzellierte und darauf nach den Plänen der vereinseigenen Baukanzlei Familienhäuser errichtete und an seine Mitglieder verkaufte. Das Echo auf die Pläne war groß und trotz finanzieller Probleme entstand schon in den ersten 18 Monaten eine streng rechteckig angelegte Siedlung mit 50 Häusern zwischen der heutigen Haizingergasse, Cottagegasse, Sternwartestraße und Gymnasiumstraße im heutigen 18. Wiener Bezirk. Die Häuser waren in vier Blöcken angeordnet, hatten alle einen Vorgarten und waren so angelegt, dass in der Mitte des jeweiligen Blocks eine große, zusammenhängende Gartenfläche entstand. Die Häuser waren für eine oder höchstens zwei Familien konzipiert und ein Stockwerk hoch; für spätere Bauperioden ließ der Cottage Verein maximal zwei Stockwerke zu, wobei unter dem Dach noch ein oder zwei Mansardenzimmer möglich waren. Die Eigentümer mussten sich gegenseitig im Grundbuch verpflichten, „keine Bauten aufzuführen, welche auch nur einem der übrigen Cottage-Besitzer die freie Aussicht, das Licht und den Genuss frischer Luft benehmen würde.“
Karl Ritter von Borkovski leitete die Baukanzlei des Vereins und er war es, der praktisch alle Häuser entwarf und auch die Bauausführung überwachte. Die Häuser der ersten Bauperiode waren relativ schlicht und zweckmäßig entworfen, man orientierte sich am Vorbild der englischen „Cottages“, also einfachen Landhäusern für je eine Familie. Trotzdem versuchte man, die Fassaden mit Erkern, Balkonen, Veranden, Giebeln, Risaliten und gelegentlich auch Türmchen und Türmen möglichst abwechslungsreich zu gestalten. Das Klientel des Cottage Vereins war der Mittelstand, – gehobene Beamte, Offiziere, Doktoren und Kaufleute, wie es statutengemäß festgehalten ist. Mit der Zeit wurde es schick, im Cottage zu wohnen und zahlreiche Künstler, Ärzte, Professoren, Industrielle, Rechtsanwälte und Notare siedelten sich hier an. Josef Kainz, Heinrich Schnitzler, die Thimig-Dynastie, Schmutzer, Kálmán, Saiten, Korngold, Heesters und Kralik wohnten hier, Wissenschafter von Weltgeltung wie Boltzmann, Pauli oder Tschermak zogen nach. Es herrschte lebhafter gesellschaftlicher Verkehr mit Salons, Dichterlesungen, Musikabenden, Theateraufführungen und Vorträgen. Die Villen in den folgenden Bauperioden wurden aufwendiger und repräsentativer gestaltet. Man beauftragte für die Entwürfe Architekten wie Robert Oerley, Adolf Loos und die Theater Architekten Fellner und Helmer. Ferstel selbst baute für sich eine Villa, die später als Mädchenpensionat diente.
Man verwendete für die Fassaden mit Vorliebe historisierende Stilrichtungen mit gotischen, barocken und selbst antiken Elementen, die bei aller Buntheit ein einheitliches, geschlossenes Ensemble bilden, was zu einem Großteil auf die vom Cottage Verein vorgeschriebenen Baurichtlinien zurück zu führen ist. Es stellt ein architektonisch und stadtgeschichtlich wertvolles Kulturdenkmal dar, das das bürgerliche Lebensgefühl am Ende des 19. Jahrhunderts widerspiegelt.
Cottage-Servitut: Ensembleschutz schon damals
Beim Ankauf der Cottage-Grundstücke mussten sich die Mitglieder entweder gegenseitig, zu Gunsten des Vereins oder gegenüber den Gemeinden zu Regeln für den Bau der Häuser oder für deren spätere eventuelle Umgestaltung verpflichten. Es handelte sich dabei um die so genannten Cottage-Servitute, mit denen der Verein einen Teil der später geschaffenen Bauordnung für Wien aber auch die Schutzzonen Bestimmungenvorweg nahm. Die Servitute waren anfangs relativ allgemein formuliert und wurden mit der Zeit immer genauer festgelegt. Es waren Vorgärten, die seitlichen Abstände der Häuser vorgeschrieben, es sollten Familienhäuser mit maximal zwei Stockwerken sein, und zwar in der Art, wie sie der Wiener Cottage Verein auf den Nachbarparzellen bereits hergestellt hatte bzw. es solle nur je ein Gebäude im „Cottage Style errichtet werden“ etc. Diese Servitute sind auch heute noch gültig und bieten de facto die einzige Handhabe, um gegen Verletzungen der Schutzzone im Cottage anzukämpfen.
Bausünden und Schutzzonen-Bestimmung – ein Skandal
Der zweite Weltkrieg hat leider auch in das Cottage große Wunden gerissen. Nach dem Krieg war die Wohnungsnot groß und man baute in die entstandenen Lücken rasch und zweckmäßig aber in einer Art, die das Auge des Cottage-Besuchers empfindlich schmerzt. Es folgte die Immobilienbranche, die das Geschäft mit den begehrten Cottage-Wohnungen erkannte. Es wurde ohne Rücksicht auf den Stil der benachbarten, historisch wertvolle Villen gebaut, nur mit dem Ziel, in die gerade noch erlaubte Kubatur möglichst viele Wohn-Quadratmeter unter zu bringen.
1972 wurde in Wien das erste Schutzzonengesetz, die „Altstadterhaltungsnovelle“, als Teil der Wiener Bauordnung verabschiedet, und damit die Möglichkeit der Errichtung von Schutzzonen geschaffen. In den folgenden Jahren legten namhafte Architekten besonders schützenswerte Gebiete in Wien fest, insgesamt wurden 115 Schutzzonen definiert, das Cottage ist eine dieser Schutzzonen. Die Idee war, den baulichen Charakter, die historischen Strukturen und die prägende Bausubstanz der geschützten Ensembles zu erhalten. Bauliche Änderungen und Neubauten sollten sich harmonisch in die bestehenden Strukturen einfügen.
Wien ist natürlich anders. Der gutgläubige Bürger würde erwarten, dass nunmehr die Baubehörde, ausgestattet mit dem notwendigen Rüstzeug an Verordnungen, in akribischer Weise darauf achtet, dass die Harmonie der historischen Ensembles erhalten bleibt und kein unsensibler Spekulationsbau zwischen die zum Teil liebevoll renovierten Villen gezwängt wird. Dem ist leider nicht so, und so müssen Anrainer, Interessensgruppen und auch der Cottage Verein immer wieder versuchen, sich gegen mächtige Baulobbies, gegen mit der Rathausbürokratie gut vernetzte Architekten und letztlich gegen die Baubehörde durchzusetzen, wobei man meist auf verlorenem Posten steht und kaum Aussicht auf Erfolg hat. Dafür gibt es mehrere Gründe:
- Die Bauordnung für Wien. Im Zusammenhang mit der 1987 erfolgten Novellierung der Wiener Bauordnung kann heute auf Basis des zentralen Paragraphen § 85 (5) jedes Bauwerk in Schutzzonen errichtet werden, solange ihm von der MA 19 der Anspruch „zeitgemäß“ attestiert wird.
- Die ästhetische Beurteilung eines eingereichten Bauprojekts erfolgt allein durch einen vom Magistrat bestellten Beamten der MA 19, der eine gutachterliche Stellungnahme abgibt. Es gibt gegen seine einsame Entscheidung keine übergeordnete Instanz oder Kontrollfunktion, keine Rekursmöglichkeit.
- Jene Bürger, die von einem Neubauprojekt am meisten betroffen sind – Anrainer, die Bewohner des Viertels (deren Liegenschaften häufig durch die Neubauten massiv an Wert verlieren), auch die Bezirksverwaltung selbst haben, was die äußere Gestaltung eines Bauwerks betrifft, keinerlei Einspruchsrecht. Es ist dies, wie es im Juristen-Deutsch heißt, kein subjektiv öffentliches Recht, das in der Bauverhandlung geltend gemacht werden könnte und auf das man sich bei der Bauoberbehörde oder beim Verwaltungsgerichtshof berufen könnte.
Zusammengefasst: Die im Wiener Gemeinderat durchgeboxte Novellierung der Bauordnung („Lex Hollein“) kann, gemessen an der ursprünglichen Intention bei der Abfassung des Schutzzonen-Paragraphen, bei allem Respekt, nur als Skandal bezeichnet werden. Es gibt im Bauverfahren weder für Anrainer noch für den Verein und auf Basis der Bauordnung nicht einmal für die Baupolizei eine Möglichkeit, Projekte, die nicht in das Ensemble passen, zu verhindern, auch wenn diese das Ensemble in einer Schutzzone aufs Gröbste stören.
Die bereits erwähnten Cottage-Servitute sind für den Cottage Verein die einzige Möglichkeit, um auf dem zivilen Rechtsweg die ärgsten geplanten Bausünden zu verhindern. Gegenwärtig laufen im Zusammenhang mit einem Neubau in der Cottagegasse 50A seit dem September 2005 (!) zwei Servitutsprozesse, die bereits durch alle drei Instanzen gegangen sind. Es geht um einen Appartmentbau mit fünf Vollgeschossen, wobei gemäß Bauklasse 2 und auf Basis der Servitute nur ein Familienhaus mit maximal 2 Stockwerken zulässig ist. In der Weimarer Straße 72 steht die frühere „Schönbauer“-Villa, in der der bekannte Chirurg mit seiner Familie wohnte, eine schöne, charakteristische Cottage Villa. Sie soll zur Hälfte mit einer Alu-Glas Fassade ummantelt werden; die Baugenehmigung existiert, weder der Verein noch die Proteste der Anrainer hatten eine Chance, diesen Plan zu verhindern, mit dem das Cottage Ensemble weiter zerstört wird. Dies sind nur zwei Beispiele aus jüngster Zeit.
Vielleicht gelingt es einmal einem begnadeten Architekten, im Cottage einen modernen Bau zu realisieren, der sich – obwohl modern – harmonisch in das Ensemble einfügt und dieses nicht stört. Andere europäische Städte haben es vorgezeigt, warum sollte es nicht eines Tages in Wien gelingen?
Autor: Dipl. Ing. Gerhard Foerster
aus „Denkma(i)l, Nachrichten der Initiative Denkmalschutz“, Nr. 04, Februar 2010, S. 12/13