Fünfhundert Jahre Grinzing
Kardinal Dr. Piffl wohnt den Festlichkeiten bei
Die Festveranstaltungen in Grinzing, die Samstag abends mit einem prächtigen Fackelzug eingeleitet worden waren, fanden gestern ihren Abschluß. Schon um 7 Uhr früh wurde der 500jährige Bestand Grinzings durch eine vom Pfarrer Stoppel zelebrierte stille messe gefeiert. Um 9 Uhr hielt Kardinal-Erzbischof Dr. Piffl der am Ortseingang feierlich empfangen worden war, ein Pontifikalamt mit voller Miffistenz unter Mitwirkung des Chores von St. Rochus und St. Sebastian (Leitung Professor R. Luschnig) und des Kirchenchores ab. Zu gleicher Zeit zelebrierte auf dem Hautplatze bei der Sankt Johannes Statue Prälat Dr. Fluger eine Feldmesse, bei der vom Grinzinger Männergesangvereins Schuberts „Deutsche Messe“ zum Vortrag gebracht wurde.
Um 12 Uhr mittags fand für die Festgäste beim Obmann des Festkomitees Karl Hengl ein Bankett statt, bei dem Kardinal Dr. Piffl eine Rede hielt, in der er die Vergangenheit Grinzings würdigte und dem Ort eine frohe Zukunft wünschte. Den Höhepunkt des Festes bildete die Aufführung des Freilichtspieles auf dem Kirchenplatz, das von Professor Vinzent Ludwig verfaßt worden war. Die Leitung des Festspieles hatte Oberregisseur Kneidinger inne. Das Spiel wurde von einer riesigen Menschenmenge mit großem Interesse verfolgt.
In den frühen Nachmittagsstunden kamen noch riesige Menschenmengen nach Grinzing. Alle Straßenbahnwagen waren gesteckt voll, außerdem brachten noch Autos und zu Omnibussen improvisierte Fahrzeuge ständig neuen Zustrom von Festgästen. Um 4 Uhr setzte sich der historische Festzug in Bewegung. Die ganze Geschichte Grinzings, dieser ehrwürdigen Stätte alter Weinkultur wurde durch die Teilnahme am Festzug in anschaulicher Weise dargestellt. Einzelpersonen in farbenprächtigen Originalkostümen und sinnreich zusammengestellte Gruppen versinnbildlichten alle bedeutenden Ereignisse und alle Ereignisse, die in der Geschichte Grinzings eine Rolle gespielt hatten.
Um 5 Uhr gab es in den meisten Gasthäusern Grinzings Theater- oder Musikaufführungen, so wurde beispielsweise „Das tapfere Schneiderlein“ gespielt, bei Enzl hielt der Grinzinger Männergesangverein eine Liedertafel ab.
Da die meisten Heurigenschenken anläßlich des Jubiläums eine Weinkost abhielten, wurde den edlen Grinzinger Weinen fleißig zugesprochen. Die vielen Zehntausende von Besuchern blieben bis spät am Abend in Grinzing und konnten sich nur schwer entschließen, den freundlichen Ort zu verlassen und wieder nach Wien zurückzukehren.
Aus „Ilustriertes Wiener Extrablatt“, Wien, Montag 17. Oktober 1927