Theodor Billroth
In Erinnerung an den vor fünfundsiebzig Jahren (am 6. Februar 1894) von uns gegangenen großen Arzt, Gelehrten und Menschenfreund wurde im Rudolfinerhaus eine mit einer Gedächtnisausstellung verbundene Feier veranstaltet, bei der der Vorstand des Instituts für Geschichte der Medizin, Frau Univ.-Professor Dr. Erna Lesky, den Festvortrag hielt. Sie gab darin in ausführlicher Darstellung ein Bild der geistigen Entwicklung und der wissenschaftlichen Bedeutung des für seine Zeit größten Chirurgen Europas, der in Wien nicht nur auf medizinischem Gebiet den Boden gefunden hatte, auf dem er sich als Arzt wie als Mensch zu jener Größe entwickeln konnte, die ihn vor allen anderen Zeitgenossen auszeichnete. Mit freundlicher Genehmigung von Frau Prof. Dr. Lesky bringen wir im Folgenden einen kurzen Auszug ihres Vortrages:
Die heutige Zeit bedarf mehr denn je der Besinnung auf das Humane der ärztlichen Aufgabe, denn sie scheint auf dem besten Wege zu sein, vor dem technischen Werkzeug den kranken Menschen und den um ihn sich mühenden ärztlichen Helfer zu vergessen. Beide laufen Gefahr, im automatisierten Massenbetrieb einer Gesundheitsfabrik anonym und zueinander beziehungslos unterzugehen. Wohin diese Entwicklung treibt, wird in erschreckender Weise aus dem Wunsch eines amerikanischen Arztes offenbar, den er zu seiner Sekretärin äußerte: „Ich hoffe, lange genug zu leben, um meine Patienten gar nicht mehr persönlich zu sehen und untersuchen zu müssen. Ich werde die von meiner Sekretärin aufgenommene Anamnese sowie alle nur möglichen Laboratoriumsbefunde auf meinem Schreibtisch haben und auf Grund dieses Materials die Diagnose stellen und die Behandlungsvorschriften diktieren können.“ In eine solche Zeit, die sich zur Generalbestattung des hippokratischen Arztes rüstet, ragt Theodor Billroth aus dem vergangenen Jahrhundert zu uns herüber. Er hat in einer für seine Zeit typischen Weise dieses Arztbild in seinem Leben wie in seinem Wirken verwirklicht. Damals galt es als Selbstverständlichkeit, dass man für den Arztberuf gewisse Vorbedingungen mitzubringen hat. Außer der inneren Veranlagung hat Billroth immer auch der Erziehung einen entscheidenden Anteil zuerkannt. Zu dem Ausspruch Nothnagels „Nur ein guter Mensch kann ein guter Arzt sein“, fügte Billroth noch hinzu „ein gut erzogener Mensch, das heißt in einer Familie, in der ein wohlwollender Geist gegen alle Menschen lebt“. Diesen Geist nahm Billroth in seiner elterlichen Pastorenfamilie auf, in der er auf der Insel Rügen geboren worden war und dieser Geist verließ den Studenten nicht, der vorerst noch schwankte zwischen Arzt oder Musiker als Lebensberuf, und er lebte auch im berühmt gewordenen Arzt fort, der nicht selten den von ihm eben Operierten auf den eigenen Armen ins Bett zurücktrug und fürsorglich bettete. Er war ein so hervorragender Arzt, dass er 1856 sogar neben dem berühmten Virchow für eine Berliner Lehrkanzel vorgeschlagen wurde. Seit 1860 in Zürich, wurde er 1867 nach Wien berufen, und gerade diesen Vertreter der damals modernsten Richtung der Chirurgie brauchte man in Wien; und so hat die österreichische Unterrichtsverwaltung ein Jahr nach dem unglücklichen Krieg mit Preußen den Preußen Billroth nach Wien geholt. Es wird dieser Behörde immer zur Ehre gereichen, dass sie 1867 die rein wissenschaftlichen Erfordernisse über die politische Zeitströmung stellte.
Wie ein strahlender Stern ist Billroth am medizinischen Himmel Wiens aufgegangen. Er ist durch seine unbedingte Wahrheitsliebe zum Begründer einer wahren, brauchbaren chirurgischen Statistik geworden, im Gegensatz zur damals gebräuchlichen Übung, immer nur die guten Resultate der Operationen bekannt zu geben. Billroth sagte selbst „Wahrheit und Klarheit sind die Fundamente der Naturwissenschaften ebenso wie diejenigen des sozialen Lebens“. Seine Erstoperationen, mit denen die Kehlkopf-, die Magen- und Darmchirurgie, die Schilddrüsenoperationen erst eingeführt wurden, machten gewaltiges Aufsehen. Aber es ging ihm nicht darum, Bravourstücke operativer Technik zu setzen, sondern Lehr- und Lern-, aber auch Standardoperationen zu entwickeln, die mit einem möglichst geringen Risiko für den Patienten verbunden waren. Vor technisches Können, vor Routine und Ruhm hat Billroth immer den leidenden Menschen gestellt, in der Überzeugung, „Leidenden helfen zu können ist eine der schönsten Fähigkeiten, die der Mensch besitzt“. Und diese Fähigkeit übte der weltberühmte Meister bis in die kleinsten Details.
Dieser wahre Mensch zeigte sich auch in Billroths sonstigem Leben, das ihn zum ärztlichen Philanthropen großen Stils werden ließ. Freiwillig und ohne Auftrag eilte er 1870 auf die Schlachtfelder des Deutsch-Französischen Krieges und leistete den Verwundeten Erste Hilfe. Nach dem furchtbaren Ringtheaterbrand im Jahr 1881, als Hunderte von Menschen hilfs- und rettungslos ums Leben kamen, war er es, der sich mit anderen zusammentat, um die Wiener Rettungsgesellschaft zu gründen. Und 1882 konnte das Rudolfinerhaus, die persönlichste Schöpfung Billroths, und mit ihr zugleich die modernste Krankenpflegeschule ihrer Zeit, eröffnet werden.
Billroth war Künstler durch und durch, er war es beim Operieren ebenso wie beim Forschen und Lehren, und er sagte selbst, dass die großen Naturforscher und Ärzte meist einen Hang zum Künstlerischen hatten, oft zugleich auch Dichter, Maler, Musiker waren; und bei Billroth finden wir ebenfalls das Künstlerische auf musikalischem Gebiet, und es dokumentierte sich auch in Billroth’s Freundschaft mit Brahms und Hanslik. Er empfand seine Berufung nach Wien als größtes Glück, wo er „sich herrlicher entwickeln konnte als irgend sonst wo“.
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Für Spitalszwecke hergerichtete alte Die Billrothstraße und der Rudolfs-
Häuser im Garten des Rudolfinerhauses Pavillon im Jahre 1884
im Jahre 1882
Döbling hatte schon immer das Glück, eine Vielzahl berühmter Persönlichkeiten zu seinen engeren Bewohnern zählen zu können. Billroth ist einer der prominentesten, und so gibt es nicht nur die schöne Bronzebüste Billroths von Zumbusch im Vorgarten des Rudolfinerhauses, die Billrothstraße selbst hält dauernd die Erinnerung an diesen großen Arzt und Menschenfreund wach, und auch zwei neuere Wohnhäuser tragen künstlerische Darstellungen Billroths: Am Haus Nr. 57 befindet sich ein großer Steinschnitt vom akad. Maler Foitik, der Billroth inmitten seiner Tätigkeit im Spital zeigt, und ein großes Mosaik am Haus Nr. 77 stellt ihn als Lehrenden dar. Wie sehr seine Bedeutung schon zu seiner Lebenszeit erkannt und geschätzt wurde, kann aus der Tatsache ersehen werden, dass Billroth, der Preuße, zum Mitglied des österreichischen Herrenhauses gewählt wurde, eine Ehrung, die nur ganz besonders hervorragenden Persönlichkeiten zuteilwurde. Wie tief der Ruf dieses großen Arztes auch ins Volk gedrungen war, mag folgende kleine Anekdote zeigen, die wohl alten Döblingern noch bekannt sein dürfte:
Er schneidet einem den Magen heraus, reinigt ihn gründlich, bürstet und wäscht ihn sauber, hängt ihn dann zum Trocknen auf den Zaun in die Sonne und setzt ihn dann dem Patienten wieder ein!
Schließlich wollen wir noch auf eine Beziehung der Familie Wertheimstein zu Billroth hinweisen, in deren Haus unser Heimatmuseum untergebracht ist. Er war wohl auch, zumindest gelegentlich, Gast in diesem allen Künsten und Wissenschaften stets offenen Zirkel, umso mehr, als Leopold Wertheimstein, ebenso wie Billroth, ein begeisterter und guter Cellospieler war. Hier hat Billroth Frau Minna Gomperz kennen gelernt, die Schwester von Leopolds Gattin Josefine, die dann eine der tätigsten Mitbegründer des „Rudolfinums“ wurde.
Autor: Kurt J. Apfel
aus dem Döblinger Heimatmuseum, Heft 16/17, Mai 1969.