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Die Hohe Warte darf nicht sterben

Matthäi am Letzten beim First Vienna Football Club

Seinerzeit schon als Ruine gebaut / Lebendige Sportgeschichte / Hier hat das „Wunderteam“ aufgespielt / Der große Nurmi zog seine Runden / Carpentier, der „Gentleman des Rings“, verdrosch einen Statisten / Erinnerungen an Aida, Kommerzialrat Neumann und Paul Hörbiger / Erdrutsch und Zuschauerrekord bei Ländermatch / Die Flak ballerte in den nächtlichen Himmel / Willkommenes Heizmaterial für Döbling und Umgebung

Wir haben – trotz Demokratie – zwar nicht übermäßig viel zu reden, befragt werden wir aber umso mehr. Sei’s drum. Welche Gedanken assoziieren Sie mit dem Begriff Hohe Warte? Die Befragung eines repräsentativen Querschnittes von Österreichern erbrachte folgendes Ergebnis: 28 Prozent aller Befragten verzogen schmerzvoll das Gesicht, weil sich Hühneraugen und Rheuma ungefragt zu Wort meldeten, und antworteten: „Die Wettermacher.“ 37 Prozent sahen nicht viel weniger schmerzlich drein und sagten: „Die alte Fußball Gstettn“, und 25 Prozent verzogen ihr Gesicht zu einem breiten „Prost“ - Grinsen und dachten an den „Heurigen“. Einfach, weil in Wien ein erheblicher Prozentsatz der Menschen immer an den Heurigen denkt… Unsere heutige Sportplauderei dreht sich um den Sportplatz Hohe Warte. Es ist beileibe kein Nachruf, denn die Hohe Warte darf nicht sterben. Eigentlich müsste man sie unverzüglich unter Denkmalschutz stellen, denn sie hat absolut kulturpolitische Bedeutung. Sie kann aber auch gar nicht sterben, dazu währt einfach ihre Agonie schon zu lange. Immerhin soll unser Beitrag dazu anspornen, dass beherzte Förderer sagen: „Es muass was gschehn“ – sonst g’schicht nämlich auch weiterhin nichts!

Fragt mich nicht, wann es sich zugetragen hat, aber es war jedenfalls während einer der schon traditionellen Bestandskrisen der Hohen Warte, da zeichnete der begnadete Allroundler Max John Leuthe – Fußballer, Maler und Redakteur – im „Neuen Wiener Tagblatt“ die vertraute Silhouette der Hohen Warte, die gerade wieder einmal abgerissen werden sollte, und schrieb darunter: „Lehmberg noch in unserem Besitz!“ Er spielte dabei mit feinem Humor auf eine mehrmals wiederkehrende Floskel im k.u.k. Heeresbericht an, als an der russischen Front Lemberg im Ersten Weltkrieg öfter seinen Besitzer wechselte. Diese Anspielung verstanden aber nicht alle. Der Chefredakteur des „Neuen Wiener Tagblattes“ – Chefredakteure verstehen nur selten etwas vom Sport – rümpfte jedenfalls die Nase und rügte in der Redaktionskonferenz: „Der Leuthe waß nicht amol, dass sich Lemberg nicht mit „h“ schreibt!“ Die Herzen der Wiener vom Grund aber hingen immer schon an diesem „Lahmberg“, der schon als Ruine erbaut worden war…

Naturstadion: Kampf mit der Natur

Heutzutage baut man Stadien – wenn man sie nicht viel eher abreißt – aus seelenlosem Beton. Nur im Osten, wo es genug Häftlinge für „freiwillige Sonderschichten“ gibt, wird mitunter protziger Stein für Stadionbauten verwendet. Die Hohe Warte war ein Nachkriegskind. Dort, wo sich der Wienerwald weinhügelschwer an die Großstadt schmiegte, wurden vorhandene Hügel zu Estraden ausgebaut. Wohl waren Erdbewegungen nötig, aber da genügten ein Dutzend Muliwagerln und Hunderte fleißiger Teichgräberhände. Eine schon vorhandene Wiese wurde „gebügelt“, also bretteleben gestaltet, und grob gehobelte Bretter auf eingerammten Pfosten ergaben Sitzplätze. Mit relativ geringem Aufwand erzielte man größten Effekt: ein Naturstadion, das seinesgleichen in ganz Europa suchen konnte. Der alte Simmeringer Platz, den die Schrebergärten angenagt und zuletzt der notleidende Grundbesitzer Simmering - Graz - Pauker verscheuert hatten, war der Wiener Vorgänger der Hohen Warte gewesen. Hier, neben der Mauer des St. Marxer Friedhofes, hatten früher einmal Länderkämpfe mit Massenbesuch stattgefunden. Die Hohe Warte war schöner und leichter erreichbar. Ergo verfiel der Simmeringer Platz. Das Bessere war immer schon der Feind des Guten. Als anlässlich der Arbeiterolympiade seinerzeit das Praterstadion gebaut wurde, war es um das Schicksal der Hohen Warte geschehen!

Aber noch sind wir ja beim Anfang. 1921 wurde das prachtvolle Naturstadion mit dem Match Vienna gegen Hakoah eröffnet. Damals herrschte noch kein Mangel an Parkplätzen. Man fuhr mit der Stadtbahn bequem bis Heiligenstadt, und da war man! Der Wienerwald hat es dem Fußball allerdings nie verziehen, dass er ihm die Hohe Warte abgeluchst hat. Immer wieder versuchte er sein altes Eigentum zu überwuchern. Manche behaupteten, dass nirgends das Unkraut so schnell wächst wie auf der Hohen Warte…

Eine gedeckte Tribüne

Die Hohe Warte wurde – so behaupten wenigstens die zeitgenössischen Kritiker – schon als Ruine erbaut. Sie war in all den 47 Jahren ihres Bestandes ein ewiges Provisorium, und deshalb glauben wir auch so fest an ihren Weiterbestand. Provisorien haben nämlich seit alters her in Österreich ein langes Leben. Immerhin waren aber die Vereinsgewaltigen der Vienna stets unternehmungslustig. Es war, vornehmlich in den zwanziger und dreißiger Jahren, immer etwas los, draußen in Döbling. Daher konnte man es sich auch leisten, eine gedeckte Holztribüne zu bauen. Gewiss, sie war nicht sehr schön, aber zweckdienlich. Die Mitte dieser Holztribüne gehörte der sogenannten Ehrenloge, und in deren Mitte wieder residierte damals mit „Schirm, Charme und Melone“ der Vienna - Präsident Kommerzialrat Neumann. Seine Tochter, Edda Neumann, ragte als österreichische Tennismeisterin noch in die Nachkriegstage unserer Zeit herüber.

Dieser Kommerzialrat Neumann war ein ebenso einfallsreicher wie schrulliger Sportsmann. Vor seinem Sitz in der Ehrenloge war eine große Glocke angebracht, die er regelmäßig wild läutete, wenn die Blau - Gelben ein Tor erzielt hatten!

Immer Schnitzel ist auch fad!

Bei der Vienna verstand man sich auch vortrefflich darauf, den „Speisenzettel“ abwechslungsreich zu gestalten. Zwar spielte man damals in Wien einen hervorragenden Fußball, die Hohe Warte war auch die Wiege des legendären „Wunderteams“, aber immer Schnitzel wird auf die Dauer auch fad. Ergo sah man sich um nach schmackhaften Beilagen. Der Sport allein bot hiezu schon ungezählte Möglichkeiten. Auf der Hohen Warte zog zum Beispiel das große finnische Laufwunder Paavo Nurmi seine Runden. In einem Vorgabelaufen über 5000 Meter schluckte er Gegner um Gegner und die Massen jubelten, wie sie es sonst nur zu tun pflegten, wenn Sindelar wieder einmal mit traumwandlerischer Sicherheit durch die Reihen der Gegner dribbelte. Auch Boxen war damals hoch in Mode. Als elegantester Faustkämpfer, als „Gentleman im Ring“, galt der Pariser Georges Carpentier. Er boxte zwar i m Halbschwergewicht, hatte aber auch unter den „schweren Bröckerln“ seiner Zeit keinen zu fürchten. Dieser Carpentier stand in Wien, auf der Hohen Warte, im Ring und bearbeitete einen „lebenden Sandsack“. Der Mann fristete dadurch, dass er sich halb totsch lagen ließ, sein Leben, und die Wiener waren entzückt. Wie seit alters her : Brot und Spiele!

Aber auch alle anderen erdenklichen Sportarten fanden auf der Hohen Warte ihre Heimstätte. Motorradrennfahrer zogen auf der Aschenbahn – die dadurch zwar nicht besser wurde – ihre Spuren. Turner bestritten Massenvorführungen, und bisweilen versäumte man es auch nicht, mit dem Spektakel eines Feuerwerks die Wiener anzulocken. Und sie kamen, staunten und riefen: „Bravo!“

Sieh da: Auch die „Holde Aida“!

Ein Platz, der so sehr wie die Hohe Warte die Sympathien der Massen besaß, war auf die Dauer auch von der Kunst nicht zu übersehen. So fanden einmal vor etwa 40 Jahren Opernaufführungen einer italienischen Stagione draußen in Döbling statt. Große Kulissen mischten sich mit der Naturkulisse des Wienerwaldes zu einem einmaligen Erlebnis. Wenn aber der Tenor sein „Hooolde Aaidaa“ hinaus schmetterte, erzitterten nicht nur die Seismographen der benachbarten Meteorologischen Versuchsanstalt, sondern auch die Schrammeln machten eine ehrfürchtige Pause, bis die „Kollegen“ ausgesungen hatten…

Krieg und Abstieg

Seit das Praterstadion in der Gunst der Massen obsiegt hatte, führte die Hohe Warte nur noch ein Leben im Ausgedinge. Der Zweite Weltkrieg gab ihr dann ganz den Rest. Vorübergehend benützte man das Tohuwabohu auf dem verfallenen Spotplatz noch für Geländeläufe, dann, als auch Wien zum Frontgebiet wurde, ballerte eine auf der Hohen Warte stationierte Flakstellung in den nächtlichen Himmel (Am 22.3.1945 fanden in der Batteriestellung der schweren Heimatflakbatterie 212/XVII (19. Hohe Warte) durch Luftkriegseinwirkung (Fliegerangriff) folgende Personen den Tod: Obergefreiter Traunmüller Alfred Kanonier Safranek Walter Oberwachtmeister Breiner Ludwig Flakhelferin Reinhardt Emma Flakhelferin Krüger Gertrude und der Obergefreiter Oltmann Emil der Hei 212/XVII ist im Luftwaffenlazarett Wien, 19. Peter Jordan - Straße 82, seinen Verletzungen erlegen).

… die Bänke aber und die ganzen Holztribünen wanderten langsam, aber sicher in die Öfen der notleidenden Anrainer. Man mußte ihr auch damals, wenn sie selten gewordene, prickelnde Wärme spendete, gut sein, der lieben, alten Hohen Warte.

Die Zeit des Wiederaufbaues begann, und auch auf der Hohen Warte regten sich fleißige Hände. Vornehmlich die alten Fußballer halfen mit. Früher einmal hatten sie angegriffen, jetzt griffen sie zu. Man rodete die Sprösslinge des Wienerwaldes, der inzwischen von den Zuschauerräumen wieder Besitz ergriffen hatte, und baute neue Bankreihen, neue Tribünen. Vienna-Anhänger mußten zu jeder Zeit eine Voraussetzung mitbringen: Optimismus. Das war schon in der Urzeit so, als die Rothschild-Gärtner auch den Fußball nach Wien verpflanzt hatten, und das blieb praktisch bis zum heutigen Tag so. Einige Jahre leitete auch der geradezu klassische Optimist Paul Hörbiger die Geschicke der Vienna, als er mit dem Thespiskarren weiterzog, fanden sich andere Optimisten. Kein zweiter Verein hatte einen ähnlich großen Verschleiß an Vorstandsmitgliedern wie die Vienna. Als vor einigen Jahren von der Hohen Warte der Ruf erschallte: „Antel ante portas!“, schöpfte man wieder Mut. Derzeit scheint es ganz so, wie wenn auch der „schöne Franz“ scheitern müsste. Er wurde bei der kürzlich abgehaltenen Generalversammlung beim Heurigen zwar wieder zum Präsidenten gewählt, weil es keine Alternative gab, aber nur noch ein Wunder kann die Vienna, kann die Hohe Warte retten!

Aber raubt uns auch noch den Glauben an dieses Wunder. Den Storch und den Osterhasen hat man uns ohnehin schon genommen. Daran, dass die Hohe Warte ewig weiter modern sein wird, wollen wir fest glauben. Mag die Situation auch noch so hoffnungslos sein, ernst ist sie jedenfalls aber nicht!

Autor: F. Heinlein
Aus der „Wiener Wochenausgabe“, Nr. 15/1968, S. 14.
Details über das Schicksal der Flakstellung sind von Renato Schirer zur Verfügung gestellt.